EZ, 17.11.2021
Nebel, Niesel und Norwegerpulli-Wetter in Niederjosbach. Was nach Tief klingt, ist in Wirklichkeit ein richtiges Narrenhoch. Angesagt ist der Rathaussturm am 13.11. Gegen 17.10 Uhr versammelt sich der Gusbacher Carneval Club samt Schaulustigen vor dem Vereinshaus.
Voller Flitter und Glitter lacht man das Novembergrau aus. Die Trommelformation Knüppelgeister mit ihren bastbaumelnden Sonnenhüten und Lichterketten bringt Glanz in die graudunstige Straße. Fahnenschwenkende Narren, kichernde Damen mit wolligem Vereinsschal. Die Minis, Midis & Maxis in ihren Tanzgarde-Kleidern gucken aufgeregt Richtung Rathaus. Manche tänzeln aufgrund der Bibberkälte mit ihren Füßen.
Punkt 17.11 Uhr und eine diplomatische Sekunde später setzt sich der Zug in Bewegung. Dabei zermalmen die trommelnden Knüppelgeister jede humorlose Corona-Vire mit ihren Trommelstöcken zu Konfetti. Der Helau-rufende Mob ist bereit, das Rathaus zu stürmen, den goldenen Schlüssel zu erbeuten. Und wenn’s ganz super läuft, Lösegeld vom Bürgermeister zu erpressen. Ihr Plan wird vereitelt. Wie jedes Jahr eigentlich.
Bürgermeister Alexander Simon scheint vorgewarnt. Vielleicht von einem Maulwurf oder einem Pressebericht? Vielleicht erinnerte er sich mit Schaudern an seine früheren Erfahrungen mit Novemberstürmen dieser Art? Jedenfalls hat sich Simon in der Amtsstube verbarrikadiert. Zusammen mit der Ersten Stadträtin Sabine Bergold und Magistratsmitglied Harald Eulenberger. Der Rathaussturm wird zur jeckennervenzerreißenden Belagerung. Sitzungspräsident Jannis Rösner geht in Blockadeausgangshaltung: „Ortsbeirat und Magistrat, gebt uns Kass’ und Schlüssel raus!“
Alexander Simon, zwar kostümlos, aber doch mit Nervenkostüm: schwenkt das goldene Schließelement und… verweist auf die Rathaussprechstunde am Montag. Das närrische und das einfache Volk kommentiert dies mit lautem Protest. Also greift Alexander Simon zu härteren Bandagen: Er schließt das Fenster. Mit diesem taktischen Geniestreich rechnet kein Narr.
Doch Sitzungspräsident Jannis Rösner ist ein zäher Gegner. Er ruft den Rathaussturm aus, wird aber nicht so ganz erhört. Zugegeben, ein paar Sympathisanten, die schon etwas Glühwein intus haben, bewegen sich. Aber nur von links nach rechts. Was nun? Es kommt zu einer ungeahnten Wendung. Vielleicht ein Überläufer oder eine Verräterin im Rathaus? Denn plötzlich finden sich ein gefesselter Bürgermeister, eine besiegte Stadträtin und ein kampfunfähiges Magistratsmitglied samt Stadtkasse auf dem Dorfplatz ein. Unproblematisch ist es nicht, die Finanzkiste zu öffnen. Ganz wie im wahren Leben.
Harald Eulenberger dreht die Kiste. Rüttelt am Riegel. Endlich gibt die Stadtkasse ihren Inhalt frei: Das letzte Hemd. Dem fehlen bekanntlich die (vollen) Taschen… Deshalb kapituliert Alexander Simon und übergibt den goldenen Schlüssel.
Die Narren gewinnen. Tun sie das nicht immer? So wie Heinz Seebold, Urgestein, langjähriger Sitzungspräsident und ehemaliger Vorsitzender des GCC. Er hat sich auch nicht unterkriegen lassen und ist nach langer Krankheit wieder mit dabei, lobt seinen Nachfolger Jannis Rösner: „Er macht das einfach super!“.
Der entschlüsselte Alexander Simon dankt den Niederjosbachern für ihre Jugendarbeit und für das Engagement der Vereine. Vorsitzende Karin Dostal eröffnet die 5. Jahreszeit mit einem dreifachen Helau. Die Grins-&-Singvereinigung Knallbonbons beweist mit ihrer Gesangseinlage, dass Karneval wie ein fröhliches Lachen ist, das auf die Straße purzelt und tanzt. Sei es noch so dunkel.
Mit Abstand an diesem Abend: In Niederjosbach glühen der Wein und die Wangen der Menschen. Strahlende Kinder angeln mit ihren Händen nach den Bonbons in der erbeuteten Stadtkasse. Helau wird zu Hallo. Es ist fast Nacht… fast Fastnacht. Im nächsten Jahr will sich der Bürgermeister im Schrubberdepot verbarrikadieren. Er hält das für ein narrensicheres Versteck. uki